Jedes Jahr, im Frühjahr und Herbst, lädt der Vorstand unseres Diözesanverbandes die Gruppenleitungen und weitere Funktionsträger/innen zu einer Arbeitstagung ein. Der Samstag des Seminarwochenendes dient der Aus-, Fort- oder Weiterbildung. Diese Bildungsmaßnahme ist eine wertvolle Unterstützung für die Leitung einer Suchtselbsthilfegruppe. Das Seminarthema dieses Mal: Umgang mit häuslicher Gewalt.
Als Referent konnte Detlef Behnke, Weißer Ring, Außenstelle Emmendingen, gewonnen werden und wir erfuhren:
Was ist der Weiße Ring?
Der Verein mit ca. 41.000 Mitgliedern wurde 1976 in Deutschland unter anderem von dem Fernsehjournalisten Eduard Zimmermann (1. Moderator der Fernsehsendung Aktenzeichen XY
im ZDF) in
Mainz gegründet. Er finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, Stiftungen, Nachlässe sowie Zuweisungen von Geldbußen und nimmt keine öffentlichen Zuschüsse in Anspruch.
Hintergrund: Opfer von Straftaten fühlen sich von staatlicher Seite nicht ausreichend beachtet und es gibt eine hohe Hemmschwelle für Betroffene Hilfe zu suchen. Das öffentliche Interesse gilt eher dem Tatgeschehen und so schenkt die Gesellschaft eher den Tätern ihre Aufmerksamkeit.
Der Weiße Ring ist die einzige bundesweite Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer. Er hat in Deutschland etwa 3.000 professionelle ehrenamtliche Helfer, die den Opfern und ihren Familien vor Ort zur Seite stehen. In einem aktiven Hilfsnetzwerk leisten sie von Mensch zu Mensch Beistand, fungieren als Lotsen und unterstützen mit vielfältigen Möglichkeiten. Diese Hilfe ist kostenlos.
Das Hilfsangebot ist auch für all diejenigen wichtig, die Gewalt hinter verschlossenen Türen erleben, im privaten Raum für andere meist unsichtbar. Beleidigt, gedemütigt, geschlagen, verletzt sind sie Opfer häuslicher Gewalt.
Was ist häusliche Gewalt?
Häusliche Gewalt oder auch Partnergewalt liegt immer dann vor, wenn in einer häuslichen Gemeinschaft (z.B. Ehe, Lebenspartnerschaft, Beziehung) Gewalt angedroht oder ausgeübt wird. Es ist auch dann häusliche Gewalt, wenn die häusliche Gemeinschaft gerade aufgelöst wird oder eine Trennung noch nicht allzu lange zurück liegt. Der Ort des Geschehens kann dabei außerhalb der Wohnung liegen, z.B. Straße, Geschäft und Arbeitsstelle, häufig ist jedoch die Wohnung selbst der Tatort.
Neben der Partnerschaftsgewalt gibt es auch die innerfamiliäre Gewalt, die die Familie und sonstige Angehörige, wie Kinder, Eltern, Großeltern, Geschwister, Onkel, Tanten Neffen, Nichten… betrifft.
Häusliche Gewalt ist vielfältig: Dabei geht es meist um Macht und Kontrolle. Schläge und andere Formen der körperlichen Gewalt sind nur eine Form der häuslichen Gewalt. Betroffene erleben auch psychische Gewalt, wie Nötigungen, Beleidigungen, Drohungen, Demütigungen. Eine weitere Form häuslicher Gewalt ist die Sperrung zum Zugang zu Bankkonten oder die soziale Isolation.
Statistische Zahlen:
Das Bundeskriminalamt hat in seinem Bundeslagebild 2023 zur Häuslichen Gewalt [1] folgende Zahlen festgehalten:
167.639 Fälle Partnerschaftsgewalt und 78.341 Fälle innerfamiliäre Gewalt
Überwiegend sind es weibliche Personen (79,2%), die durch ihre (Ex-)Partner Opfer häuslicher Gewalt werden. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Plus von 5,2%! Die Partnerschaftsgewalt zum Nachteil von Männern ist im Vergleich zum Vorjahr um Plus 10,9 % noch deutlicher angestiegen! Die Opfer häuslicher Gewalt lebten etwa zur Hälfte mit der tatverdächtigen Person in einem gemeinsamen Haushalt. Die Betroffenen kommen aus allen Bildungs- und Einkommensschichten, allen Altersgruppen, Nationalitäten, Religionen und Kulturen.
Die Dunkelziffer liegt weitaus höher, da die genannten Zahlen nur die bei der Polizei gemeldeten Fälle enthalten. Häusliche Gewalt ist ein Tabuthema. Gerade männliche Opfer sprechen aus Scham häufig nicht über Angriffe ihrer Partner/innen oder holen sich Hilfe.
Besonderheiten bei häuslicher Gewalt:
Häusliche Gewalt folgt einem bestimmten dynamischen Muster. Die Abstände zwischen den Gewaltausbrüchen werden zunehmend kürzer und die Intensivität nimmt zu. Opfer zeigen ihre Täter/innen nicht an, weil sie Angst haben. Angst vor einer Verschlimmerung der Situation, Angst vor gesellschaftlicher Abwertung und Schuldzuweisungen, Angst vor der Reaktion auf eine Trennung vor allem, wenn sie finanziell von dem Angreifenden abhängig sind.
Durch ein andauerndes Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Opfer und Täter/in ist es sehr schwer diesen immer wiederkehrenden Kreislauf zu durchbrechen, auch weil Täter/innen nach Gewaltausbrüchen Reue zeigen und versprechen, dass es nie wieder vorkommen würde.
Folgen von häuslicher Gewalt:
Folgen eines Gewaltereignisses können sich zeigen durch
Körperliche Symptome:
Schlafstörungen, Albträume Essstörungen, Erschöpfung, unklarer Schwindel, Herzklopfen, Magen-Darmbeschwerden
Bei körperlicher Gewalt treten äußere und/oder innere Verletzungen auf.
Psychische Symptome:
Unruhe und Nervosität, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Vermeidung von Aktivitäten – sich zurückziehen, erhöhte Schreckhaftigkeit und Angst
Die gesundheitlichen Auswirkungen werden von den Betroffenen oft nicht mit der Gewalt in Zusammenhang gebracht. Doch sie haben Folgen für familiäre und soziale Beziehungen, verbunden oftmals mit Schwierigkeiten in vielen wichtigen Lebensbereichen.
Art. 2 Grundgesetz:
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Was können Opfer tun?
SICH NIEMALS SELBST DIE SCHULD GEBEN
Bei akuter Bedrohung 110 rufen!
Sich jemandem anvertrauen (Verwandte, Freunde, Hausarzt)
Sich Hilfe holen, z.B. beim WEISSEN RING (Opfertelefon 116 006 tgl. 7-22 Uhr) einer Trauma-Ambulanz oder in einem Frauenhaus
Einzelheiten zu den Vorfällen notieren (Was, Wann, Wo)
Verletzungen fotografieren und attestieren lassen
Straftat bei der Polizei, gern in Begleitung einer Vertrauensperson, anzeigen.
Weitere wichtige Telefonnummern:
Gewalt gegen Frauen 116 016 (rund um die Uhr und in vielen Sprachen) sowie das Hilfetelefon
Gewalt an Männern 0800 123 9900
Wie kann ich Betroffenen helfen?
Ist jemand aus meinem Umfeld von häuslicher Gewalt betroffen, kann mir vorab bei den oben genannten Telefonnummern Rat holen. Achtung: Im akuten Notfall immer 110 anrufen!
Bei einer persönlichen Begegnung signalisiere ich Hilfsbereitschaft, ermutige zum Gespräch, nehme mein Gegenüber ernst und bestärke die betroffene Person ohne sie zu Handlungen zu drängen.
Auswirkungen partnerschaftlicher Gewalt für Kinder:
Seit Januar 2001 ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) das Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung festgeschrieben.
Der neue §1631 BGB lautet: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
Das Miterleben von Gewalt wirkt sich auf Kinder negativ aus. Sie fühlen sich hilflos, allein gelassen und schuldig. Auch wenn sie nicht selbst geschlagen werden,
löst miterlebte Gewalt bei Kindern Angst und Verunsicherung aus. Die unmittelbaren Auswirkungen sind vielfältig: psychische oder körperliche Folgen wie Schlaflosigkeit,
Kopfschmerzen oder Konzentrationsstörungen gehören hier dazu. Die Kinder sind überfordert, schämen sich und es fällt ihnen schwer sich jemandem anzuvertrauen.
Hier könnte das Kinder- und Jugendtelefon Nummer gegen Kummer
116 111 (Mo bis Sa 14 bis 20 Uhr) erste Hilfestellungen geben.
Wichtig: Wenn Kinder gewaltvolle Auseinandersetzungen als normal erleben, kann es sein, dass sie später selbst von Gewalt betroffen sind oder diese selbst anwenden. Die Gewalt erreicht dann die nächste Generation!
Fazit:
Häusliche Gewalt ist vielfältig und in allen Bereichen unserer Gesellschaft verbreitet.
Ein Dankeschön an den Referenten, Herrn Detlef Behnke, der uns dieses Tabuthema gut aufbereitet nähergebracht hat. Wir konnten unser Bewusstsein schärfen und erkennen, dass häusliche Gewalt keine Privatsache ist.
Quellen:
[1] Bundeskriminalamt/ Lagebild Häusliche Gewalt 2023 – V 1.0
Buchtipp: „Liebe ist gewaltig“ von Claudia Schumacher, dtv-Verlag, ISBN: 978-3-423-14874-0