Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft

für Suchtkranke und Angehörige

Diözesanverband Freiburg e.V.

KreuzbundDiözesanverband Freiburg e.V.

EVA

Bericht: Senioren 55+ Seminar 2024

Zeit12.–14.4.
OrtKloster St. Trudpert
ThemaNie hätte ich gedacht, dass mir das noch einmal passiert
ReferentWilfried Mohr, ehem. PSB Ettlingen
BerichtFriedrich Mey
BilderRiklef Schmidt

Im Rahmen des Gesprächs­kreises „55 plus“ hat vom 12. bis 14.04.2024 das Seminar „Nie hätte ich gedacht, dass mir das noch einmal passiert“ in Münstertal stattgefunden. Als Referent konnte wiederum Wilfried Mohr gewonnen werden. Die Teil­nehmenden trafen am späten Nachmittag bei herrlichem Frühlingswetter im Kloster „St. Trudpert“ ein. Mit dem gemeinsamen Abendessen am Freitag um 18.00 Uhr erfolgte der Auftakt des Seminarwochenendes.

In der anschließenden Begrüßungs- und Vorstellungs­runde bestand Gelegenheit die Beweggründe zur Teilnahme an der Seminareinheit zu artikulieren. Gleichzeitig waren die Teil­nehmenden gehalten, Wünsche, Vorstellungen und Erwartungen an das Wochenende zu formulieren. Hierbei werden unter­schied­liche Aspekte angesprochen. Ist es auf der einen Seite das Seminar­thema und die Begegnung mit den weiteren Teil­nehmenden und dem Referenten, sind es andererseits konkrete persönliche Anlässe und Situationen.

Der Leitsatz der Seminareinheit kann inhaltlich in zwei Richtungen analysiert werden. Auf der einen Seite ist es der Weg von der Abstinenz wieder in die Sucht (Rückfall). Andererseits ist darin das Erreichen der Abstinenz und somit der Weg aus der Sucht zu verstehen. Hieraus resultierend besteht die Zielsetzung darin, Strategien für die Erhaltung der Lebensqualität zu vermitteln. Im Übrigen werden die Abstinenzentscheidung, das Suchtgedächtnis und der „Autopilot“ einer vertiefenden Betrachtung unterzogen. Den unangenehmen Gefühlen und Gedanken kommt in der Aus­einander­setzung zwischen Abstinenz und Rückfall eine essenzielle Bedeutung zu.

Im Kontext der Weiterführung am Samstag findet eine „Karte aus Karton“ im übertragenen Sinne als Metapher für die Abstinenz Verwendung:

  • Ich schlafe gut, fühle mich wohl und gehe meinen Weg.
  • Mit der Zeit erhält die „Karte“ einen Knick und ich beschäftige mich in vermehrtem Umfang mit dem Thema „Alkohol“. Nach außen hin ist noch alles gut.
  • Wenn diffuse Gefühle sich verstärken, kommt es zu einem Loch in der „Karte. Ich bemerke, dass sich was bewegt.
  • Der erste Einschnitt in der „Karte“ ist der Grund für Änderungen. Es gestaltet sich als schwieriger, das bisher Erreichte aufrecht zu erhalten.
  • Eine weitere Verschärfung tritt ein, wenn sich das Trinken verfestigt und die Veränderung vom Umfeld wahrgenommen wird.
  • In der „Karte“ entsteht ein großes Loch.
  • Das Loch in der „Karte“ wird noch durch einen Rahmen begrenzt. In meiner Erinnerung kommen die Gedanken auf, wer hat mir zurückliegend geholfen und wie komme ich aus dem Loch wieder heraus. Da gibt es doch eine „Werkzeugkiste“.

Die Motivation für die Abstinenzentscheidung findet im Wesentlichen ihre Begründung in acht Begriffen, welche alle mit „F“ beginnen:

  • Familie;
  • Finanzen;
  • Freiheit;
  • Firma;
  • Führerschein;
  • Freunde;
  • Fitness;
  • Freizeit.

Die genannten Begrifflichkeiten haben eines gemeinsam, der Auslöser erfolgt durch eine Fremdmotivation. Die Abstinenzentscheidung ist aber nur dann nachhaltig erfolgreich, wenn in einem weiteren Schritt aufgrund des äußeren Drucks die Initialmotivation begründet wird. Lediglich eine Anpassung hat wenig Aussicht auf Erfolg.

Eine vielfach heimliche Abstinenz begründet keine Zufriedenheit. Ich möchte nur für einen bestimmten Zeitraum abstinent bleiben (bis zur Erreichung der Altersgrenze und Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess). Hierzu stellt die Eigenmotivation den Gegenpol dar. Der Eigenmotivation ist immer eine größere Gewichtung beizumessen, im Vergleich zur Fremdmotivation.

Werte und Ziele der Abstinenz:

  • Werte geben Sinn, sie sind unser innerer Kompass;
  • Werte helfen bei Entscheidungen;
  • Werte zeigen auf, wofür man steht;
  • Ziele können dauern, Werte sind immer vorhanden.

Der Sinn wird durch Wahrnehmung im Kontext unserer fünf Sinnesorgane begründet. Werte stellen Richtungsgeber dar und gehören zur Abstinenzentscheidung. Sie

geben Orientierung. Es bedarf einer Veränderung in unserem Gehirn. Die Werte stellen den Wegweiser zum Sinn dar. Ich entscheide abstinent zu leben, werde aktiv und bin kein Opfer mehr.

Ein Leuchtkörper, bestehend aus LEDs, stellt eine weitere Metapher dar, in diesem Fall für die Sucht:

  • es brennt, kann nicht gelöscht werden;
  • speichert lediglich das Konsumverhalten davor und danach ab;
  • hat nur Halbwahrheiten;
  • Orte, Personen, Stimmung und Gerüche, als erlebte Situationen werden abgespeichert und begründen insgesamt das „Suchtgedächtnis“. Hierzu gehört auch die abgespeicherte Erwartungshaltung, diese stellt im Kontext des Rückfalls die größte Gefahr dar.
  • mit neuem Verhalten werden Strategien zur Überlagerung der Leuchtkraft entwickelt (Umwickeln des Leuchtkörpers mit eine Stoffband); je stärker und länger ich wickle, bekomme ich alles in den Griff (Suchtgedächtnis); sofern die Leuchtkraft noch durchscheint, ist die Gefahr des Rückfalls noch nicht gebannt.
  • Das Wickeln muss ständig wiederholt werden, damit hieraus eine Art von Automatismus entsteht; wenn ich „müde“ werde, wird die Aufmerksamkeit für das Wickeln geringer.

Der „Autopilot“ in uns:

  • hat gute und gefährliche Seiten;
  • hilft uns den Alltag zu meistern;
  • hat Lösungen gespeichert (in Millisekunden);
  • hat auch gespeichert, wie wir uns als Kind zu verhalten haben, hat Auswirkungen auf das spätere Verhalten;
  • nicht das Verhalten, die Lösungen sind das Problem;
  • neues, geändertes Verhalten braucht lange bis es funktioniert;
  • um Neues zu wagen, muss ich die Komfortzone verlassen.

Der Autopilot im Kontext der Sucht ist an das Suchtgedächtnis gebunden. Das Verlangen ist ebenfalls mit dem Suchtgedächtnis gekoppelt. Das Verlangen bleibt nie stehen, kommt und geht vorbei. Im Kontext der Abstinenz kann es mich einholen. Andererseits ist es kein Beleg dafür, dass die Gefahr eines Rückfalls besteht, die Therapie nicht erfolgreich war und der regelmäßige Besuch der Selbsthilfegruppe nichts bringt. Das Verlangen ist oft auch ein Hinweis auf ein noch bestehendes Problem, welches noch nicht aufbereitet wurde.

Das Verlassen der Gruppe ist zunächst nicht so tragisch. Kritisch wird es aber, ich konsumiere wieder und gehe dann nicht mehr hin.

Die nachfolgende Auflistung umfasst unsere Basisgefühle:

  • Angst, Wut;
  • Freude, Ekel;
  • Trauer;
  • Überraschung;
  • Verachtung;
  • Schuld und Scham.

Emotionen bestehen aus:

  • dem Gefühl;
  • dem Verhalten (Mimik, Gestik, Körperhaltung);
  • den körperlichen Reaktionen (Herzrasen, Schweißausbrüche, Muskelanspannung);
  • dem Denkprozess.

Gefühle entstehen durch:

  • den Reiz;
  • die Bewertung (positiv, neutral, negativ);
  • die Gedanken.

Nach den vorliegenden Erkenntnissen bewältigt ein Mensch täglich 60.000 bis 70.000 Gedanken, davon sind 25 % negativ und 3 bis 4 % positiv. Es handelt sich hierbei um einen ständigen Prozess.

Gedanken sind nichts weiter als Gedanken und nicht die Wahrheit der Dinge. Es sind nur Vorstellungen, Erinnerungen, Bilder und Wortketten, die einem ständig durch den Kopf gehen. Jeder Gedanke, jede Vorstellung, ob positiv oder negativ, hat Einfluss auf das seelische und körperliche Befinden. Wie ich mich fühle, hängt nicht von der Situation oder meinen Mitmenschen ab, sondern davon, was ich über die Situation und die Mitmenschen denke. Nicht die Dinge machen uns zu schaffen, sondern die Art und Weise wie wir diese wahrnehmen und bewerten.

Auslöser für das erneute Konsumieren:

  • Streit, Ärger;
  • Blutdruck steigt;
  • immer dasselbe;
  • jetzt ist mir alles egal.

Unter Berück­sichtigung des Autopiloten wird beim Auftreten der genannten Auslöser der Kauf von Alkohol die Konsequenz sein.

Am Sonntagvormittag bei weiterhin herrlichem Frühlingswetter erfolgt die Fortsetzung der Seminareinheit.

Vom Referenten wird die Bedeutung der Aussage „ich bin deprimiert“ dahingehend interpretiert „ich habe den Gedanken deprimiert zu sein“. Gedanken sollen kreisen, aber keine „Nester“ bauen (Grübeln).

Die folgenden Situationen / Bereiche können Auslöser für das Grübeln sein:

  • was könnte passieren?
  • frustrierte Wünsche und Erwartungen;
  • verstörende Erlebnisse mit anderen Menschen.

Die Zielsetzung hat darin zu bestehen, Ausstiegshilfen aus dem Grübeln zu organisieren. Mit dem Grübeln lenke ich von mir ab, beschäftige mich nicht mit mir selbst.

Im Alter sind wir sehr stark in der „Routine“ erstarrt. Es passiert nichts mehr, mir ist langweilig. Die Neugierde darf nicht verloren gehen. Das Alter erfordert von uns Anpassungsleistungen, wenn Dinge nicht mehr so leicht von der Hand gehen. Die Akzeptanz im Kontext von Fehlleistungen sollte erfolgen. Stärken und Schwächen sind zu akzeptieren. Es gibt nicht nur Siege, sondern auch Niederlagen.

Die Dankbarkeit ist Voraussetzung für Zufriedenheit und stellt einen Gegenpol zum Grübeln dar. Hier kommt die 5-Finger-Regel ins Spiel:

  • Daumen: Für welche meiner Fähigkeiten und Stärken bin ich dankbar?
  • Zeigefinger: Für welche Person / Personen bin ich dankbar?
  • Mittelfinger: Wem kann ich heute etwas Gutes tun?
  • Ringfinger: Was inspiriert und begeistert mich in der Natur?
  • Kleiner Finger: Entscheide frei, was dich noch mit Dankbarkeit erfüllt.

Das gemeinsame Mittagessen bildete den Abschluss des Seminars. Im Anschluss daran wurde die indi­viduelle Heimreise angetreten. Alle waren sich einig, ein schönes und harmonisches Wochenende miteinander erlebt zu haben.