Bericht zum Themenschwerpunkt im Rahmen der Glat II
24.-26.11.2023, Schönstatt-Zentrum Marienfried, Oberkirch
»Sich in den Haaren liegen, ohne die Frisur zu zerstören -
gewaltfreie Kommunikation«
Referent: Dr. Michael Tremmel, Kreuzbund e.V.
Das Neue an dem Konzept der »Gewaltfreien Kommunikation« nach Marshall Rosenberg (GfK) ist, dass hier die besten Erfahrungen menschlicher Kommunikation wie zum Beispiel Grundhaltungen und Gesprächsführung/-verlauf zu einem trainierbaren Konzept zusammengetragen worden sind. Die GfK enthält also grundsätzlich keine neuen Einsichten! Denn schon in der Bibel finden sich wichtige Grundlagen, wie sie auch in der GfK gelten: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matthäus-Ev., 22,39) – ohne Selbstliebe wird GfK kaum gelingen! - oder „Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!“ (Lukas-Ev., 6,31) – das ist die »Goldene Regel« menschlichen Miteinanders, grade auch in Konfliktlagen.
In der GfK wird zwischen »Wolfssprache« und »Giraffensprache« unterschieden. Auch wenn ‚dem Wolf‘ vorurteilshaft hier ein ungünstiges Zeugnis ausgestellt wird: in der GfK dient er uns als derjenige, der vormacht, wie man es nicht machen sollte: angreifen, anklagen, rechthaberisch auftreten; der Wolf sieht die Interessen der anderen nicht, er sieht nur sich selbst. Die Giraffe hingegen behält mit ihrem langen Hals den Überblick über die gesamte Streitfrage und Gefahrenlage und sie sieht weiter. Sie nimmt mit ihrem großen Herzen mögliche Lösungen in den Blick, die den Bedürfnissen aller Beteiligten entgegenzukommen versucht. Der Wolf sieht sich umgeben von Feinden, soweit das Auge reicht: nur Wölfe! Die Giraffe hingegen kann gar nicht anders als sich nur umgeben zu wissen von Giraffen – einige davon leiden allerdings offensichtlich unter Sprachproblemen, sie sprechen nämlich Wolfssprache.
Welche Grundhaltung zeichnet die Giraffensprache aus und wie nun geht eine Giraffe strategisch vor? Zunächst einmal gilt – und das ist auch eine Grundhaltung in der Selbsthilfegruppe -, dass jeder Mensch für sich selbst verantwortlich ist – für seine Gedanken, seine Worte, seine Gefühle, seine Bedürfnisse und wie er versucht, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Ausdrücklich nicht verantwortlich ist der Einzelne dafür, wie andere auf seine Wort und Handlungen reagieren!
Weil wir nicht allein auf der Welt leben, zeichnet sich Selbstverantwortung auch dadurch aus, dass es uns selbst ein Bedürfnis ist, dazu beizutragen, dass sich auch die Bedürfnisse des Nächsten, des Mitmenschen, des Gruppenmitglieds erfüllen lassen. Das Regelwerk der GfK unterstützt also das Erlernen von mehr Selbstverantwortung. GfK ist somit für die Sucht-Selbsthilfe ein hilfreicher Ansatz!
Wie nun sieht das Modell Gewaltfreier Kommunikation im Überblick aus? Nachfolgend einige grundlegende Elemente:
- Zunächst ist unsere Grundhaltung und Motivation wichtig: Ich muss für mich selbst geklärt haben, um was es mir geht: was will, soll, muss ich? Die Antworten, die ich mir gebe, sind auch abhängig von den jeweiligen Rollen, die ich ausfülle – z.B. als Gruppenleitung. Ich muss darüber hinaus bereit sein, auf den anderen zuzugehen und echte Empathie für den anderen empfinden – auch seine/ihre Interessen müssen für mich wichtig sein.
- Ich muss dem anderen gegenüber zugleich selbst aufrichtig und authentisch gegenübertreten. Sodann ist wichtig, mich nicht auf die Vergangenheit oder auf die Zukunft zu beziehen, sondern mich im Kontakt auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und zu beschränken.
- Der Kern der GfK besteht aus vier Schritten: Wahrnehmen/Beobachten: Beschreiben, was meine Sinne wahrnehmen (dabei jede Wertung unterlassen)
Gefühl: Welche Gefühle lösen meine Beobachtungen aus? Bin ich traurig, ängstlich, aggressiv, ohnmächtig, wütend?
Bedürfnis: Welches Bedürfnis steckt hinter meinen Gefühlen? Brauche ich zum Beispiel mehr Sicherheit, Wertschätzung, Respekt?
Bitte: »Bitte sage mir jetzt …«, »Wärest du bereit, mir jetzt …« - eine Bitte ist keine Forderung! Eine Bitte lässt dem anderen die freie Wahl – er darf auch Nein sagen! - Wölfe, die kein Interesse an einer gemeinsamen Lösung haben, gehen mit solchen Mitteln (Kommunikationsstops) ins Gespräch wie zum Beispiel: Befehlen, Moralisieren, Drohen/Warnen, Beraten/ Besserwissen, Urteilen/Beschuldigen, Belehren, Betteln, Verhören, Beschimpfen etc.
Kommunikationsstopps gilt es zu vermeiden, die Giraffen-Elemente der GfK gilt es einzuüben. GfK ist ein umfassender Lernprozess – mit sich selbst gut umzugehen und mit anderen. GfK ist möglicherweise eine gute Hilfe für lösungsorientierte Kommunikation – sie ist allerdings nicht zwingend in allen Fällen anwendbar! Hier muss jeder und jede selbst entscheiden, ob GfK eine Hilfe sein kann.
Dr. Michael Tremmel