Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft

für Suchtkranke und Angehörige

Diözesanverband Freiburg e.V.

KreuzbundDiözesanverband Freiburg e.V.

Hubert Grimming, Oberkirch

Bericht: Allgemeines Seminar II 2023

Zeit18.–20.8.2023
OrtSchön­statt­zentrum Marienfried
ThemaNimm Dein Leben in die Hand
ReferentKlaus E. Harter, ehem. PSB Sigmaringen
BerichtFriedrich Mey
BilderFriedrich Mey

Der Leitsatz Nimm Dein Leben in die Hand bedeutet, Verantwortung für sich und sein Leben zu übernehmen und sich nicht als das Opfer anderer oder der Umstände anzusehen. Was wir erleben, ist oft eine Folge unseres Handelns oder Nichthandelns. Um eine positive selbstbestimmende Lebenshaltung einnehmen zu können, ist es wichtig zu akzeptieren, dass wir bei allem, was uns widerfährt, auch immer unseren Teil dazu beitragen.

Der Seminarinhalt kann als Psychodrama bezeichnet werden, die praktische Umsetzung erfolgt als kontrolliertes Rollenspiel. Die Teil­nehmenden werden zunächst gebeten, sich in Teilgruppen nach verschiedenen Kriterien aufzustellen:

  • verheiratet / Leben in einer Partner­schaft oder Single
  • Suchtbetroffene(r) oder Angehörige(r)
  • Berufsausbildung

Dann sollen die Teil­nehmenden folgende Aussage ergänzen:
ich bin Herr in meinem Haus, weil …

Suchtbetroffene, die noch nicht abstinent sind, geben typischerweise die Verantwortung in vielen Bereichen an Dritte ab und es wird gerne eine Opferrolle eingenommen. Der Eintritt in die abstinente Phase löst dann Gefühlswallungen aus, Betroffene sagen Nein zum Suchtmittel und übernehmen wieder die Verantwortung für sich selbst.

Nun werden die Teil­nehmenden gebeten, in Kleingruppen Überlegungen zu der Frage­stellung anzustellen:
Wo in meinem Leben habe ich den Impuls Nein zu sagen?.

Rollenspiele

Mehrere Teil­nehmende sind bereit, ihre indi­viduellen Befindlichkeiten und die damit verbundenen Geschehnisse vorzustellen.

1. Rollenspiel

Die Beziehung eines Teilnehmers zu seinem Vater bildet den Hintergrund für das erste Rollenspiel.

Der Teilnehmer ist in einem autoritären Staat und in einer autoritären Familie aufgewachsen. Die autoritäre Grundhaltung wird insbesondere vom Vater vertreten. Der Teilnehmers möchte, dass der Vater seine Meinung und Argumentation akzeptiert. Bisher hat er sich nicht getraut, sich gegenüber seinem Vater durchzusetzen.

Der Teilnehmer schlüpft in die Kinderrolle, der Vater wird von einem 2. Teil­nehmenden gespielt. Der Vater hat Erwartungen an den Teilnehmer, welche nicht erfüllt werden. Diese werden artikuliert:

  • Aufhören mit Sucht­mittelkonsum,
  • Arbeit finden und diese pflichtbewusst umsetzen,
  • anständig leben.

Der Teilnehmer hat aber niemals Anerkennung erfahren, möchte einen gesunden Abstand zum Vater einhalten und dass er selbst und seine Entscheidungen akzeptiert werden.

Der 2. Teilnehmer versucht, sich in die Rolle des Vaters zu versetzen. Hier ist eine Hierarchie spürbar, der Teilnehmer möchte aber einen Kontakt auf Augenhöhe.

Er hat selber einen erwachsenen Sohn, der bei der Mutter aufgewachsen ist, weil sich seine Eltern getrennt hatten. Das Verhältnis zwischen den beiden war anfangs schwierig. Der Teilnehmer hat dann aber seinem Sohn erklärt, dass er sich wegen seines Suchtverhaltens in eine Therapie begeben hat. Diese Ehrlichkeit hat deutlich zur Verbesserung des Verhältnisses beigetragen, sodass der Sohn mittlerweile stolz auf seinen Vater ist.

Der Teilnehmer hat sein Leben wieder in den Griff bekommen und sich bei seinen Familienangehörigen für sein früheres Verhalten entschuldigt. Der Sohn vertritt die Auffassung, seinem Großvater sollte nicht zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Vater hatte zwar versucht, den Sohn gegenüber dem Teilnehmer aufzuhetzen, dieser hatte seinen Großvater aber aufgefordert, das zu unterlassen. Deren Verhältnis ist soweit in Ordnung.

Der Vater wärmt die alten Geschehnisse aber immer wieder auf, er beleidigt und beschimpft den Teilnehmer.

Dieses Verhalten war für den Teilnehmer einer der Gründe für den Sucht­mittelkonsum. Er hält das dem Vater zwar vor, versucht aber gleichzeitig, dessen Verhalten nachvollziehen zu können und schwächt dadurch seine eigene Position.

Im Rollenspiel werden die Mutter, sowie die Empathie und die falsche Rücksichtnahme des Teilnehmers durch weitere Teilnehmer gespielt. Von der Mutter stammt der Begriff falsche Rücksichtnahme. Sie hat den Sohn gegenüber dem Vater geopfert, um Frieden für sich selbst zu haben und entschuldigt sich beim Sohn. Die falsche Rücksichtnahme wird dann vom Sohn weggeschickt.

Dann wird ein Idealvater personifiziert. Der Sohn formuliert seine Wünsche und der Idealvater entschuldigt sich beim Sohn.

Zum Abschluss tauschen sich das Auditorium und die Rollenspiel Probanden miteinander aus.

2. Rollenspiel

Die zweite Rollenspiel befasst sich mit dem Thema Wert­schätzung am Arbeitsplatz.

Die Teilnehmerin hat einen mehrwöchigen Reha-Aufenthalt absolviert, kehrt zum Arbeitsplatz zurück und hat keinen Plan, wie es weitergehen und das Gelernte umgesetzt werden soll. Sie teilt ihr Büro mit einem weiteren Kollegen. Der Chef und die Leitungsebene werden durch weitere Teilnehmer gespielt.

Der Kollege hat gerne die Verantwortung an die Teilnehmerin abgegeben. Während ihrer Abwesenheit wird sie von diesem Kollegen und weitere Kolleginnen vertreten. Die weiteren KollegInnen berichten der Teilnehmerin hocherfreut über das Verhalten des Kollegen, er hat er eine hohe Einsatzfreude gezeigt. Die Teilnehmerin fühlt sich vom Kollegen verkauft, sie ist maßlos enttäuscht und artikuliert ihre Betroffenheit. Der Kollege rechtfertigt sein Verhalten mit dem anderen Arbeitsplatz, die Teilnehmerin fühlt sich aber ausgenutzt.

Die Ursachen für das Verhalten der Teilnehmerin liegen in der Kindheit und dem Elternhaus. Ein Schlüsselerlebnis war ein fünftägiger Krankenhausaufenthalt. Die Teilnehmerin ist fünf Jahre alt und wegen einem Gips am Bein ans Bett gefesselt. Alle anderen Kranken dürfen aufstehen, nur die Betreffende nicht, sie möchte nach Hause. Die Eltern kommen zu Besuch, doch sie können ihre Tochter nicht mitnehmen. Die Teilnehmerin möchte daher, dass die Eltern im Krankenhaus bleiben.

Im Rollenspiel bitten die Eltern die Teilnehmerin, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren, woraufhin die innere Stimme mit den unter­schied­lichen Wünschen der Teilnehmerin personifiziert wird.

Ein weiteres Schlüsselerlebnis wird als Spielsequenz dargestellt: Die Teilnehmerin ist 18 Monate alt und befindet sich in der Obhut einer schwerhörigen Großmutter und einer weiteren Großmutter aus Bayern, die aufgrund ihres Dialekts von der Teilnehmerin nicht verstanden wird. Sie wünscht sich die Rückkehr ihrer Eltern.

Die Spielsequenz Rückkehr zum Arbeitsplatz wird fortgesetzt. Der Chef nimmt die Rückkehr der Teilnehmerin zur Kenntnis und geht zur Tagesordnung über. Die Teilnehmerin kann nunmehr auch den Kollegen im gleichen Büro ertragen, weil sie von ihrer inneren Stimme unterstützt wird.

Zum Abschluss findet ebenfalls ein Austausch zwischen Auditorium und RollenspielerInnen statt.

3. Rollenspiel

Der Teilnehmer wurde im Alter von 11 Jahren vergewaltigt. Über diese Geschehnisse hat er bisher noch mit keiner Person geredet. Im Rollenspiel informiert der Teilnehmer erstmals seine durch weitere Teilnehmer gespielten Eltern. Diese unterstützen den Sohn und schlagen vor, die Tat bei der Polizei anzuzeigen. Eine Alternative könnte die Gegenüberstellung zum Vergewaltiger sein, wobei der Teilnehmer von seinen Eltern begleitet wird.

In der Spielsequenz wird der Teilnehmer durch einen anderen Teil­nehmenden ersetzt, damit er sich die Situation von aussen betrachten kann. Bei der Gegenüberstellung bestreitet der Vergewaltiger die Tat. Die Eltern waren für den Teilnehmer zwar nicht da, geben aber im Rollenspiel zu, Fehler gemacht zu haben. Der (personifizierte) Selbstwert des Betroffenen ist an den Erlebnissen nicht zerbrochen.

Zum Abschluss findet wieder ein Austausch zwischen Auditorium und RollenspielerInnen statt.

4. Rollenspiel

Im Alter von drei Jahren hat die Teilnehmerin ihr Lieblingsstofftier im Holzofen vorgefunden. Die Mutter hatte es in den Ofen geworfen, um es zu verbrennen, da es beschädigt war und sie der Meinung ist, dass es keinen Wert mehr hat. Erst nach eindringlichem Drängen hat die Mutter das Stofftier wieder aus dem Ofen genommen und repariert. In der Kindheit hat die Betroffene kein Urvertrauen erfahren.

Ein weiteres Trauma erfolgte während des Aufenthalts der Teilnehmerin in einer Kinder-Tageseinrichtung. Ein Kind wurde von einem Baustein getroffen, sodass die Betroffene von einer Betreuerin an den Stuhl gefesselt wurde. Die Teilnehmerin hat daraus für sich einen Leitsatz formuliert: Wenn ich mich wehre, bekomme ich immer eine Strafe.

Die Gefühlshöhle, die Mutter und die Betreuerin werden wieder durch weitere Teil­nehmende dargestellt und der Leitsatz mit Ich wehre mich trotzdem erweitert.

Im Rollenspiel sagt die Mutter, sie habe viel falsch gemacht, aber durch die Reparatur des Stofftieres wollte sie wieder etwas gut machen. Der Leitsatz erfährt eine weitere Erweiterung: … und bekomme mich.

Die Betroffene holt das Urvertrauen aus der sog. Gefühlshöhle. Das Urvertrauen wird ebenfalls personifiziert. In der Gefühlshöhle sind gelbe und schwarze Schubladen vorhanden, die durch farbige Tücher symbolisiert werden. Das Urvertrauen befindet sich in einer gelben Schublade.

Wieder wird der Leitsatz erweitert: Ich bekomme Urvertrauen. Die gelbe Schublade mit dem Urvertrauen wird geöffnet und die schwarzen Schubladen weggeworfen.

Die Teilnehmerin und das Urvertrauen tauschen sich verbal aus. Gegenüber der Betreuerin werden Vor­haltungen formuliert und sie wird dann entfernt.

Zum Abschluss findet wieder ein Austausch zwischen Auditorium und RollenspielerInnen statt.

Am Ende des Seminars erfolgt ein Resümee der thematisierten Aspekte. Die Teil­nehmenden werden gebeten mitzuteilen, was sie aus dem Seminarwochenende mitnehmen.