Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft

für Suchtkranke und Angehörige

Diözesanverband Freiburg e.V.

KreuzbundDiözesanverband Freiburg e.V.

Bericht: Frauen Seminar 2021

Zeit29.–31.10.2021
OrtBildungshaus St. Bernhard
ThemaBleibe ich pflegeleicht oder begehre ich auf
ReferentinGisela Koop, ehem. Rehaklinik Lindenhof
BerichtSusanne Bunsch

Corona konnte es zum Glück nicht verhindern, das Frauen­seminar konnte stattfinden – natürlich unter strenger Einhaltung der vorgeschriebenen Maßnahmen.

Wir starteten den Abend mit einer etwas anderen Vorstellungs­runde. Jede Teilnehmerin sollte zum ersten Buchstaben ihres Vornamens ein passendes Adjektiv finden. Also z.B. die süße Susanne (weil sie so gerne Schokolade isst) oder die müde Martina (weil sie an diesem Abend tatsächlich sehr müde war).

Danach waren wir alle bester Laune und stiegen locker in unseren ersten Abend ein. Frau Koop teilte uns mit, womit wir in diesem Seminar arbeiten, nämlich mit

  • Achtsam­keits­übungen
  • Selbsterfahrung
  • Thematische Inputs
  • Einzel- und Gruppen­arbeit
  • Feed – Back

Wir überlegten, was wir von diesem Thema erwarten, was wir befürchten und worauf wir neugierig waren. Einige von uns wollten einfach mutiger werden und kein schlechtes Gewissen beim Neinsagen haben.

Befürchtungen gab es hinsichtlich zu impulsiven Reaktionen oder zu hohen Erwartungen an dieses Seminar und alle waren neugierig, wie so ein Thema in der Gruppe bearbeitet werden würde.

  • Was bedeutet eigentlich Pflegeleicht? Zu allem Ja und Amen sagen, des lieben Friedens willen?
  • Wäre es nicht besser, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen?
  • Wie schätzen wir uns selbst ein?
  • Wer von uns ist eher pflegeleicht, wechselnd, begehrt auf oder lässt sich nirgendwo zuordnen?

Nachdem wir uns in eine dieser Gruppen zugeordnet hatten, beendeten wir unseren ersten Abend teils beschwingt und teils nachdenklich.

Am Samstag trafen wir uns pünktlich um 9h zur Morgenrunde und begannen den Tag mit einer Achtsam­keits­übung. Danach gingen wir auf die Begriffe Selbst-und Fremdbild ein.

Das Selbstbild[1] ist die Vorstellung über die eigene Person, ist von vielen Faktoren abhängig und unterliegt im Laufe unseres Lebens diversen Schwankungen und Wandlungen.

Ein Fremdbild[2] ist das Bild, das sich andere über uns machen, oder das Bild, das wir uns über andere machen. Es setzt sich aus Wahrnehmungen, Bewertungen und Gefühlen zusammen, die wir den anderen Personen gegenüber haben.

Ist unser Fremdbild klein, also von anderen negativ geprägt, werden wir uns klein fühlen, wir sind verunsichert und ordnen uns leicht unter. Wir leben das Fremdbild.

Ist das Fremdbild jedoch größer als das Selbstbild, weil wir z.B. von anderen immer wieder bewundernd gespiegelt bekommen, wie talentiert, geschickt und toll wir sind, entwickeln wir einen gewissen Stolz und Selbst­bewusst­sein. Wir könnten dann sogar dazu neigen, den anderen klein zu machen.

Unser Ziel sollte sein, dass Fremd- und Selbstbild gleich groß sind

Unser Selbstbild muss lernen, dass es größer werden darf und umgekehrt. Lebe ich das, was in mir steckt oder das was andere von mir erwarten? Was mache ich mit meinen Selbstzweifeln? Führen sie mich zur Unterordnung oder Anpassung? Kann ich mir eine Antwort geben? Traue ich meiner eigenen Wahrnehmung?

Manchmal wissen wir gar nicht wer wir sind, weil wir uns unser ganzes Leben verstellt haben. Wer bin ich? Wie komme ich zu mehr Sicherheit? Wir sammelten zunächst Begriffe, die uns zu pflegeleicht und aufbegehren einfielen.

  • Keine Widerrede, zahm, angepasst, gefällig, fügsam, unkritisch, selbstlos brav oder widerstandslos sein, keine eigene Meinung haben, Dir zuliebe, Ja und Amen.
  • Alles übernehmen, was erwartet wird, nichts ist zuviel, Rückzug und mangelndes Selbst­bewusst­sein
  • Aufbegehren, eine eigene Meinung haben und äußern, konstruktive Kritik üben und eigene Wünsch durchsetzen, die andere Meinung infrage stellen, andere Position anzweifeln
  • Selbstfürsorge, sich Wünsche erfüllen, zu sich selbst finden
  • Angenehmer Umgang (gute Kooperation, davon profitieren beide)
  • Streitsucht, Wut, Aggression, negative Gefühle rauslassen, nicht mehr funktionieren, warnen und drohen, egoistisch sein

Daraus ergaben sich auch Sätze wie z.B.:

  • Wenn ich pflegeleicht bin, hat mein Partner leichtes Spiel mit mir
  • Wage es bloß nicht, mit mir zu streiten

Anhand zweier Erlebnisse von Seminar­teil­nehmerinnen versuchten wir, deren Verhalten und Denkweisen aus den entsprechenden Situationen zu hinter­fragen, die mit Ärger über sich selbst verbunden waren.

Unzufriedenheit entsteht, wenn wir immer wieder Aufgaben übernehmen, die wir gar nicht machen wollen, weil wir denken: Es wird von uns erwartet.

Darüber kamen wir zur Selbstverbalisation[3], eine Form des verbalen Konditionierens. Falsche bzw. fehlende innere Monologe können die Ursache für psychische Störungen sein. Die Selbstverbalisation, kann sowohl negativ, als auch positiv sein.

Ein negatives Beispiel wäre z.B. wenn ich ich mir einrede: Das schaffe ich nie! So werde ich wohl kaum Erfolg haben. Eine positive Selbstverbalisation wäre hingegen: Du hast soviel geübt, es wird schon klappen! Du bist stark und intelligent. Danach schwirrte uns allen der Kopf und wir freuten uns auf die Mittagspause und das ausgezeichnete Mittagessen.

Nach der Mittagspause bearbeiteten wir eine der psychischen Störungen: Die ängstlich vermeidende Persönlichkeitstörung. Die betroffene Person ist äußerst angespannt, macht sich häufig und übertrieben Sorgen und ist verunsichert, sehnt sich nach Zuneigung und Anerkennung und ist empfindlich gegenüber Kritik.

Ca. 1-2% der Bevölkerung leiden an dieser Persönlichkeitstörung, Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen, häufig (bis zu 46% der Fälle) in Kombination mit sozialer Phobie[4].

Ursache kann eine Kombination genetischer Ursachen mit mangelnder psychosozialer Entwicklung sein. Die Betroffenen haben große Angst vor Kritik und Verspottung und vermeiden deshalb soziale Kontakte. Die Mitmenschen empfinden sie als besonders bescheiden, verlässlich und pflegeleicht. Weil sie selten nein sagen sind sie oft recht beliebt.

Im Katalog psychischer Erkrankungen sind 7 Symptome aufgelistet, von denen mindestens 4 erfüllt sein sollen, um diese Krankheit zu diagnostizieren:

  • Vermeidung enger zwischen­menschlicher Kontakte wegen Angst vor Kritik oder Zurückweisung
  • Vermeidung eines Kontakts mit Menschen bei Unsicherheit gemocht zu werden
  • Zurückhaltung in Partner­schaften und Liebesbeziehungen aus Angst vor Schamgefühlen oder Angst vor Lächerlichkeit
  • Angst vor Kritik und Ablehnung
  • Hemmung in ungewohnten sozialen Situationen wegen des Glaubens nicht gut genug zu sein
  • Negatives Selbstbild: Ich bin ungeschickt, hässlich und schlechter als die anderen
  • Keine neue Sachen ausprobieren aus Angst, sich zu blamieren

Psycho­thera­peutische Behandlungsverfahren gelten als Methode der Wahl zur Behandlung von ängstlich-vermeidenden Persönlich­keits­störungen. Verhaltenstherapeutische Therapieansätze erweisen sich als überlegen gegenüber unspezifischen Verfahren[1]. Durch Rollenspiele, in denen wir erlebte Alltagssituationen nachspielten, wurden uns eigene Verhaltens­weisen deutlich vor Augen geführt und gleichzeitig Änderungen in unserem Verhalten geübt.

Danach behandelten wir die 5 Freiheiten nach Virginia Satir:[5]

  1. Zu sehen und zu hören was im Moment wirklich da ist, anstatt was sein sollte, gewesen ist oder erst sein wird
  2. Das auszusprechen, was ich wirklich fühle und denke, und nicht das, was von mir erwartet wird
  3. Zu meinen Gefühlen zu stehen, und nicht etwas anderes vorzutäuschen
  4. Um das zu bitten, was ich brauche, anstatt immer erst auf Erlaubnis zu warten
  5. In eigener Verantwortung Risiken einzugehen, anstatt immer nur auf Nummer sicher zu gehen und nichts Neues zu wagen

Wir bearbeiteten dieses Thema in Kleingruppen indem wir folgende Fragen beantworteten:

  • Wie deuten wir das?
  • Welche dieser Freiheiten spricht uns besonders an?
  • Welche Zusammenhänge sehen wir für unsere Gruppe?
    Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede stellen wir fest?
  • Was würde unser Umfeld über diesen Text denken?
    Was unsere TeilnehmerInnen in der Selbsthilfegruppe?
  • Welche Vorteile und Freiräume bieten sich uns, wenn wir weiterhin pflegeleicht bleiben?

Wir kamen zu folgendem Ergebnis:

  1. Der Text ist Motivation, zu uns zu stehen und dient der Selbstfürsorge
  2. Für uns alle war Punkt 2 (zu sagen, was ich denke und fühle) sehr wichtig, nach Punkt 3 (zu fühlen was ich fühle) und Punkt 5 (zu wagen was mich reizt)
  3. Gemeinsam hatten wir ein hohes Sicherheitsbedürfnis, im Vergleich zum Ausprobieren
  4. Unser Umfeld würde vermutlich denken: das ist doch Normalität!
    Unsere Selbsthilfegruppe würde es vermutlich zum Nachdenken anregen
  5. Pflegeleicht zu bleiben schützt uns vor Konflikten und Verlustangst

Wir stellten fest, dass wir durch ein soziales Kompetenztraining bestimmte Verhaltens­weisen üben und dadurch ändern können. Jeder für sich stellte sich eine Liste mit Mutsätzen zusammen, z.B.

  • Ich muss nicht alles können, aber ich kann es versuchen
  • Wer nicht wagt, der nicht gewinnt
  • Mut zur Lücke
  • Ich bin auch jemand
  • Schlimmstenfalls fall ich auf die Schnauze
  • Ich schaff das

Wir riefen uns die 4 Säulen des Selbstwertes nach Friederike Potreck-Rose und Gitta Jacob in Erinnerung (Selbstvertrauen, Selbstakzeptanz, Soziales Netz, Soziale Kompetenz)[6]. Die Selbstakzeptanz und das Selbstvertrauen haben eine intra-personelle Dimension, die soziale Kompetenz und das soziale Netz haben eine inter-personelle Dimension.

Damit beendeten wir den Nachmittag, genossen das reichhaltige Abendbüffet und trafen uns später zu unserem Wunschprogramm des Abends. Wir hatten vormittags darüber abgestimmt, wie wir unseren Abend gestalten wollten. Zur Wahl standen Eisdiele oder einen Filmabend mit einer der DVD's, die Frau Koop mitgebracht hat. Wir wählten Astrid[5], ein autobiografischer Film über Astrid Lindgren, den ich nur empfehlen kann und der mich ziemlich nachdenklich gestimmt hat.

Am Sonntag trafen wir uns wieder um 9h zu unserer leider letzten Runde. Wir betrachteten anhand von Beispielen, welches Gefühl eine Situation in uns auslöst und versuchten negative Gefühle durch eine positive Selbstverbalisation zu ändern.

Zum Beispiel: Ich habe im Navi das falsche Ziel eingegeben und verfahre mich. Negative Selbstverbalisation wäre: Ich bin halt zu doof so ein Teil zu bedienen!

Positiv wäre: kann ja mal passieren! Jetzt mach ich es richtig.

Dabei kamen größere und kleinere Pannen zum Vorschein und wir erkannten, wie wichtig es ist, eine Situation genau zu überdenken und vor allem den Selbstwert zu stärken.

Wir sammelten Strategien um mit Kritik und negativer Resonanz besser umgehen zu können:

  • Chillen,entspannen, einfach mal nichts tun
  • Laufen, Hobbies, Ausgleich
  • Lächeln, Freundlichkeit, Empathie zeigen
  • Mut, klare Ansage, Rückgrat zeigen
  • Körperhaltung verändern
  • Eigenschutz und Selbstliebe

Viel zu schnell ging dieser Vormittag zu Ende. Es war ein sehr aufschluss­reiches, interessantes und kurzweiliges Seminar und ich denke, jede von uns ging gestärkt aus diesem Seminar nach Hause. Wir waren eine tolle Truppe mit einer hervorragenden Referentin. Auf diesem Weg nochmal ein herzliches Dankeschön an Frau Koop.

Weblinks

[1] Wikipedia: Sebstbild

[2] Wikipedia: Fremdbild

[3] Springer Link: Selbstverbalisation

[4] Wikipedia: Ängstlich vermeidende Persönlich­keits­störung

[5] Wikipedia: Virginia Satir

[6] Psych-Med: Selbstwert

[7] Wikipedia: Astrid (Film)

Literatur

Ben Furman, Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben; Modernes Lernen (2019), ISBN 978-3-8080-0845-4

Friederike Potreck-Rose, Von der Freude, den Selbstwert zu stärken, Klett-Cotta, Stuttgart (2006), ISBN 978-3-608-86004-7

Friederike Potreck-Rose und Gitta Jacob Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen; Klett-Cotta, Stuttgart (2016) ISBN 978-3-608-89-194-2