Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft

für Suchtkranke und Angehörige

Diözesanverband Freiburg e.V.

KreuzbundDiözesanverband Freiburg e.V.

Bericht: Paar Seminar 2021

Zeit2.–4.7.2021
OrtBildungshaus St. Bernhard
ThemaWas Beziehungen stark macht
ReferentThomas Cramer, MEDIAN Klinik Wied
BerichtSusanne Bunsch

Endlich konnten wir uns mal wieder zu einem Seminar treffen. Ich war allerdings etwas skeptisch, weil sich trotz diesem wunderschönen Thema nur vier Paare angemeldet hatten, von denen ein Paar noch kurzfristig absagen musste. Seltsam – spielte da die Angst vor Corona eine Rolle oder haben wir uns etwa schon an das zu Hause bleiben gewöhnt? Schade, dachte ich, weil so ein Seminar doch von der Vielzahl an Ansichten, Meinungen und Beiträgen lebt. Ich war gespannt.

Um 19:00 Uhr begrüßte uns Thomas herzlich, natürlich nicht ohne den Hinweis auf die geltenden Corona­regeln und kam über den dabei vorgeschrieben Abstand ganz schnell zum Sozialen Abstand, der bei ca. 1,20 m liegt [1]. Mit dieser Distanz fühlen wir uns sicher und nicht bedrängt. Es ist sehr wichtig, das Distanz­bedürfnis anderer Menschen zu respektieren! Kennen wir doch alle das unangenehme Gefühl, dass uns jemand auf die Pelle rückt. Dieses unerlaubte Eindringen in unsere intime Distanzzone empfinden wir als Grenz­über­schreitung. Jeder von uns hat einen persönlichen Freiraum, den es zu respektieren gilt.

Nach dieser kurzen Exkursion begannen wir mit der Vorstellungs­runde. Dabei wurde deutlich, wie unter­schied­lich die Bedürfnisse der Partner sein können. Zum Beispiel bei dem Bedürfnis nach Nähe und Distanz. Gibt es dabei große Unterschiede, ist das eine Belastung für die Beziehung.

Was tun wenn die Bedürfnisse der Partner weit auseinander liegen? Wie viel Gemeinsamkeit und wie viel Freiraum braucht eine Partner­schaft? Wir sammelten Bedürfnisse und Begriffe die uns in einer Partner­schaft wichtig sind.

  • Nähe vs. Distanz
  • Gemeinsamkeit vs. Freiheit
  • Vertrauen, Respekt und Offenheit
  • Freiraum und Grenzen
  • Bedürfnisse, Toleranz und Wert­schätzung
  • Zärtlichkeit, Sexualität und erotische Entwicklung
  • Humor, Faszination und Leidenschaft
  • Meinungsverschiedenheiten und Streitkultur, Aufgeben
  • Leben und leben lassen
  • Gleichberechtigung und Un­abhängig­keit
  • Durch dick und dünn gehen
  • In guten wie in schlechten Zeiten

Früher waren Familien eher eine Arbeits­gemeinschaft. Der Mann sorgte für den Unterhalt, die Frau versorgte Haushalt und Kinder. Die Partner waren mehr oder weniger voneinander abhängig. Es wurden sogar Zweckehen geschlossen um z.B. Firmen zu erhalten.

Heute ist sie in der Regel ein Liebesbeziehung. Die lebenslange Partner­schaft ist für die meisten von uns das Ideal. Für manche Menschen ist es sogar unvorstellbar, alleine zu leben.

Erfahrungen aus dem Elternhaus spielen bei der Partnerwahl häufig eine Rolle. Wir suchen und oft einen Partner, der genau das verkörpert, was wir in unserer Kindheit vermissten. Doch dann können wir ihn nicht finden und es passiert genau das Gegenteil – wir verlieben uns in einen Menschen der uns in der gewohnten Art und Weise wieder enttäuschen wird.

Frauen, die als Kind unter einem Vater mit Alkoholproblemen gelitten haben, suchen sich oft einen Partner mit ähnlichem Verhalten.

Paare bei denen die Frau die Hosen anhat, hatten meist Mütter, die den Partnerinnen sehr ähnlich sind.

Erfahrungen gehören zu unserem Lernprozess. Wir lernen durch Erfolge oder durch Nachahmung – im Gedächtnis gespeicherte Verhaltensmuster werden zu unserer eigenen, erlernten Fähigkeit.

Aristoteles war der Meinung, dass das Gehirn der Kinder bei der Geburt einem unbeschriebenen Blatt (tabula rasa) gleicht [2]. Heute weiß man, dass sich Neugeborene an viele Dinge erinnern, die sie im Mutterleib erlebt haben, z.B. den Herzschlag der Mutter, aber auch Musik und Töne außerhalb des Mutterleibes. So lernen auch männliche Embryos weibliches Sozialverhalten kennen.

Thomas klärte uns über einfache Methoden auf um Beziehungen kaputt zu machen, z.B.:

  • Das Notizbuch (alles Negative abspeichern und bei Meinungsverschiedenheit wieder hervorbringen)
  • Als Strafe den Partner ignorieren und nicht mehr mit ihm reden.

Der Wunsch, unser Partner sollte sich ändern, bringt nichts. Gerade in der ersten verliebten Phase einer Beziehung sehen wir gerne über Dinge hinweg die uns stören und glauben, dass wir unserem Partner das abgewöhnen können. Wir vergessen dabei, dass jeder Mensch seine eigenen Wünsche uns Bedürfnisse hat, die nicht unseren eigenen entsprechen müssen. Udo Lindenberg zeigt uns das in seinem Song: Sie liebten sich gigantisch [3],[4].

Wir sollten uns im Klaren darüber sein, was uns in einer Partner­schaft wichtig ist, was für Werte wir haben. In zwei Kleingruppen – Männer und Frauen getrennt – sammelten wir Punkte, die uns bei der Partnersuche wichtig sind:

Frauen

  • Zärtlichkeit
  • Selbständigkeit
  • Mich so lassen, wie ich bin
  • Gemeinsame Interessen
  • Sich gegenseitig unterstützen
  • Gegenseitige Akzeptanz

Männer

  • Optik
  • Aussehen
  • Anziehungskraft
  • Treue
  • Freiheit
  • Gemeinsame Interessen
  • Fürsorge

In der anschließenden Diskussion wurde nicht nur deutlich, wie unter­schied­lich unsere Ansprüche sind, sondern auch, wie unter­schied­lich unsere Wahrnehmungen sind. Anteilnahme wird z.B. manchmal als Einmischung empfunden.

In einer weiteren Gruppen­arbeit erarbeiteten wir nachstehende Punkte:

Freiraum

  • Alleine etwas unternehmen, z.B. Mädelstag
  • Einkaufsbummel
  • Kaffee trinken
  • Im Wald alleine sein, die Ruhe und die Naturgeräusche genießen
  • Hobbys wie Lesen, basteln oder malen
  • Sport

Durch Erfahrungen außerhalb des Alltags erhalten wir neue Impulse – die Beziehung bleibt lebendig. Das ist genauso wichtig, wie die Stunden zu zweit.

Ganz falsch ist es, seinem Partner die Freiräume etwa durch schlechte Gefühle zu vermiesen: Jetzt hast du mich so lange allein gelassen und ich hab dich doch so lieb.

Grenzen

  • z.B. beim Kochen ständig dazwischenreden
  • Bevormundung
  • Intimbereich beachten
  • Nein sagen dürfen

Wir fühlen uns unwohl, wenn jemand unsere Grenzen überschreitet. Diese Grenzen können in einer Partner­schaft sehr unter­schied­lich sein. Unsere Gefühlsgrenzen sind für unsere Partner unsichtbar. Deshalb ist es wichtig, einander mitzuteilen, wodurch genau wir uns bedrängt, gekränkt oder auch nur unwohl fühlen.

Freiheit

  • die Möglichkeit für spontane Unternehmungen, z.B. wenn Freunde oder Kinder anrufen,
    ohne dass der Partner sich beleidigt, vernachlässigt oder zurückversetzt fühlt

Un­abhängig­keit

  • Sowohl in finanzieller Sicht als auch im Alltag
  • Die Freiheit selbst zu entscheiden und sich nicht vom Partner abhängig machen

Frauen haben lange für ihre Selbständigkeit gekämpft, haben sie zum Teil auch bekommen und wollen sie für sich erhalten.

Distanz

  • Wenn Freiräume und Freiheit vorhanden sind, ist für uns die Distanz nicht so wichtig
  • Gibt es keine Vereinnahmung, benötige ich keine Distanz

Wichtig ist, dass ich das Gefühl habe, eine eigenständige Person zu sein.

Vertrauen

  • Vertrauen gehört zu den wichtigsten Bestandteilen einer Beziehung
  • Durch gegenseitiges Vertrauen zeigen wir unserem Partner, dass wir ihn akzeptieren und ihm glauben

Wir können uns viel besser auf eine Beziehung einlassen, wenn wir unserem Partner vertrauen. Es gibt uns Sicherheit.

 

Damit endete dann auch der Samstag­abend und jeder war mit dem Tag sehr zufrieden.

Am nächsten Vormittag bearbeiteten wir dann noch folgende Punkte:

  • Muss ich meinem Partner alles sagen?
    • Eine Partner­schaft ohne Geheimnisse gibt es wohl nicht und ist auch nicht sinnvoll
    • Schöne oder erotische Erinnerungen über den Ex verletzen
    • Wichtig ist zu erzählen, was den Anderen unmittelbar betrifft
  • Ich bin mir unsicher, ob ich noch geliebt werde
    • Wenn wir uns unsicher sind, ob wir noch geliebt werden, zweifeln wir an uns selbst
    • Wir sollten über uns selbst nachdenken.
      Wie sieht es mit unserem Selbstvertrauen aus?
      Was hat zu diesen Selbstzweifeln geführt?
  • Wie wichtig sind Gemeinsamkeiten
    • Gemeinsamkeiten sind wichtig, jedoch nicht ausschließlich
    • Unternimmt man alles gemeinsam, kann das schnell zu Langeweile führen.
      Wir verlernen, etwas alleine zu unternehmen, machen uns abhängig und können keine eigenen Anregungen in die Partner­schaft einbringen
  • Rollenverteilung
    • Früher gab es klare Regeln in einer Partner­schaft.
      Der Mann sorgt für den Lebensunterhalt, die Frau darf damit haushalten.
      Der Mann hat Bedürfnisse, die Frau erfüllt sie.
      Diese Zeiten sind zum Glück vorbei
    • Eine Rollenverteilung ist jedoch immer noch wichtig.
      Allerdings müssen wir unsere Rolle selbst finden und sie mit dem Partner abstimmen
  • Angst den Partner zu verlieren
    • Die Angst den Partner zu verlieren ist oft mit den Erfahrungen aus der Kindheit verknüpft oder aus bitteren Erfahrungen aus einer voran­gegangenen Partner­schaft
    • Auch hier ist es wichtig, sich dem Partner anzuvertrauen und über diese Ängste und Gefühle zu sprechen

In einer guten Beziehung sind beide Partner zufrieden. Dazu gehört, seine Bedürfnisse zu erkennen und sich dafür einsetzen. Weichen sie zu sehr von denen des Partners ab, können wir beim gemeinsamen Verhandeln Abstriche machen und beobachten, ob wir mit der Lösung zufrieden sind.

Viele Probleme entstehen, weil Wünsche und Bedürfnisse nicht erkannt oder befriedigt werden. Dazu gehört auch, sich selbst zu überprüfen: wie reagiere ich, wie handle ich? Wie wirkt mein Verhalten auf den anderen? Schicke ich Botschaften, die ich gar nicht möchte? Ein gewisses Einfühlungsvermögen ist für Beziehungen unerlässlich. Es hilft dabei, einander zu verstehen und die Bindung zu vertiefen.

Manchmal wirkt die Kritik an einer Handlung auf unseren Partner wie das ausschimpfen, das er als Schuljunge erlebt hat. Er fühlt sich klein und abgewertet, ohne dass sich die Partnerin dessen bewusst wird. Deshalb ist Kommuni­kation so wichtig.

Beziehungsprobleme sind normal. Sie können sogar für eine positive Entwicklung sorgen, sofern man diese löst. Dazu gehört, dass man sich darüber klar wird, welche Bedürfnisse man hat und sie dem Partner gegenüber verständlich äußert.Nur dann haben wir die Chance das Problem gemeinsam anzugehen und zu lösen.

 

Damit ging unser Seminar zu Ende. Wie immer hat sich Thomas Cramer als sehr kompetenter und geistreicher Referent erwiesen. Wir sind ihm sehr dankbar, wie einfühlsam, geduldig und hilfreich er mit einigen Beziehungsproblemen in unserer Gruppe umgegangen ist. Ihm nochmals herzlichen Dank!

Weblinks

[1] Wikipedia: Proxemik, Signalaustausch durch Einnehmen einer räumlichen Distanz

[2] Wikipedia: de Anima, eine Schrift des Aristoteles

[3] Songtext: Udo Lindenberg, Sie liebten sich gigantisch

[4] Youtube: Udo Lindenberg, Sie liebten sich gigantisch