Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft

für Suchtkranke und Angehörige

Diözesanverband Freiburg e.V.

KreuzbundDiözesanverband Freiburg e.V.

Hubert Grimming, Oberkirch

Bericht: Single Seminar 2019

Zeit15.–17.2.2019
OrtSchön­statt­zentrum Marienfried
ThemaWarte nicht bis der Sturm vorüberzieht, sondern lerne im Regen zu tanzen
ReferentinAntonia Mamier-Lampart, AGJ Freiburg
BerichtBärbel Kempermann, Ettlingen
BilderRiklev Schmidt, Karlsruhe

Wie fühlt es sich an im Regen zu tanzen? Bin ich dann wieder das kleine Kind das von Regenpfützen angezogen wird und mit viel Spaß darin herum springt? Wenn ich dieses Bild auf mein Leben übertrage stelle ich mir die Frage: Was brauche ich um schlechtes Wetter, Krisenzeiten, zu durchleben um an­schließend im Regen tanzen zu können, also zufrieden und gestärkt im Vertrauen zu mir selbst zu sein?
Das möchte ich an diesem Wochenende erfahren.

Wir starten am Freitagabend mit einer unterhaltsamen Vorstellungs­runde in das Seminar. Unsere Referentin Frau Antonia Mamier-Lampart leitet uns zu verschiedenen Kennen­lernspielen an und neugierig lässt sich die Gruppe darauf ein. Es entsteht recht schnell eine lockere Atmosphäre und bei der ersten Gruppen­arbeit (Was gehört alles zu dem Seminar­thema, was fällt uns dazu ein) sind alle Teil­nehmenden ohne Berührungs­ängste aufgeschlossen dabei. Gemeinsam betrachten wir die Ergebnisse der einzelnen Teams und verabreden für den nächsten Morgen draußen im Freien in den langen Seminartag zu starten.

Und so treffen wir uns für den Morgenimpuls am Samstag vor der Kapelle. Wir schärfen unsere Sinne: was höre, spüre und fühle ich? Wir dehnen und strecken uns, atmen dabei ein und aus und sind bereit für den Tag. Nach der Befind­lich­keits­runde hat Antonia noch ein kleines Anschuckerle für uns und stellt ein traditionelles Lied der Maori aus Neuseeland vor. Der Überlieferung nach soll es ein Grußlied sein und lässt sich mit: die große Flut ist gekommen und wir haben sie überlebt, übersetzen. Passt also zu unserem Thema.

EPO I TAI TAI E - O EPO I TAI TAI E
EPO I TAI TAI - EPO I TUKI TUKI
EPO I TUKI TUKI E

Wir sprechen den Text und unterstützen ihn durch rhythmische Bewegungen. Das macht allen Spaß und wir sind wach für das Seminar­thema.

Antonia zeigt uns von den vier Säulen des Selbstwertes nach Potreck-Rose / Jacob [1] die ersten beiden Säulen, die da sind die Selbstakzeptanz und das Selbstvertrauen. In der folgenden Einzelübung können wir darauf zurückgreifen. Wir beschäftigen uns mit uns selbst und überlegen wo wir heute in unserem Leben angekommen sind. Diese Wahrnehmung übertragen wir bildlich auf einen Baum mit seinem Wachstum in den verschiedenen Jahreszeiten. Wir zeichnen und halten ohne Bewertung unsere heutige Lebenssituation fest:

  • Frühling: wo keimt Neues, Hoffnung, Anfang?
  • Sommer: was grünt/ wächst? Gibt es neue Möglichkeiten?
  • Herbst: Welche Früchte g, kann ich ernten? Was habe ich schon erreicht?
  • Winter: was ist vernachlässigt?
  • Rinde: wo bin ich verletzlich?
  • Maus: Was nagt an mir? Was schadet mir?
  • Wurzeln: Was nährt mich? Woher beziehe ich meine Kraft?
  • Baumschnitt: Was darf absterben, zurückbleiben?

Anschließend darf jeder, der möchte, seine derzeitige Situation der Gruppe vorstellen und jede Aussage bleibt unkommentiert stehen. Wir stimmen, bevor es zum Mittagessen geht, noch eine Runde EPO I TAI TAI E ein. Das klappt, jetzt gesungen, schon sehr gut!

Nach der Mittagspause lernen wir spielerisch die weiteren beiden Säulen unseres Selbstwertes kennen. Eingeteilt in 2 Gruppen legen wir mit Servietten Figuren. Hierbei zeigen wir im Kontakt mit anderen lösungs­orientiert unsere kreative Seite. Mit viel Spaß lernen wir bei dieser Aufgabe uns und weitere Teil­nehmende näher kennen. In einer positiven entspannten Atmosphäre entstehen konstruktiv kleine Kunstwerke.

Die vier Säulen des Selbstwertes nach Potreck-Rose / Jacob [1]

Was trägt mich in meinem Leben? Was gibt mir Halt und wo brauche ich Hilfe?

Die 5 Säulen der Identität (nach Hilarion Petzold: Integrative Therapie [2,3] )

  1. Leiblichkeit / Körper
    Hierunter fällt alles, was mit Körper und Seele zu tun hat. Wie geht es mir? Bin ich zufrieden mit mir? Bin ich gesund?
  2. Soziale Beziehungen
    Welche sozialen Kontakte habe ich? Dazu zählen Familie, Freundeskreis, Kollegen und Kolleginnen, Nachbarschaft, Gleichgesinnte in Vereinen usw.
  3. Arbeit / Freizeit / Leistung
    Macht mir meine Arbeit Spaß? Bin ich vielleicht über- oder unterfordert? Was mache ich in meiner Freizeit? Stimmt die Ausgeglichenheit zwischen Arbeit und Freizeit? Bekomme ich genügend Anerkennung?
  4. Materielle Sicherheiten
    Bin ich mit meinem Lebensstandard zufrieden und kann ich ihn auch im Alter halten? Habe ich Existenzängste?
  5. Werte / Moral / Glaube
    Was glaube ich? Wofür stehe ich und für wen oder was mache ich mich stark?

Wenn ich diese 5 Säulen und meine jetzige Lebenssituation betrachte, kann ich tragende Elemente aber vielleicht auch Schwachstellen erkennen. Wie stehe ich da? Wo komme ich allein zurecht und wo brauche ich Hilfe um mit mir selbst wieder in Einklang zu kommen? Fazit: Die ausgewogene Stabilität meiner 5 Säulen möchte ich achtsam im Blick behalten um Belastungen des Alltags meistern zu können.

Zum Abschluss des langen Seminartages und des Themenbereichs tragen wir in Gruppen­arbeit zusammen, wer oder was uns in unserem Leben in belastenden Situationen bisher geholfen hat. Wir haben hierbei Personengruppen, aber auch Werte und Ressourcen erarbeitet.

Gestärkt durch einen Morgenimpuls im Freien beschäftigen wir uns am letzten Seminartag mit Resilienz. Das Wort Resilienz stammt vom lateinischen Verb resilire ab, das so viel wie zurückspringen oder abprallen bedeutet und wurde ursprünglich in der Werkstoffkunde verwendet. Hier ist die Dehnbarkeit eines Werkstoffs nach einer Verformung durch Druck und Belastung gemeint. Resilienz ist die psychische Widerstandskraft und die Fähigkeit mit Belastungen umgehen zu können, ohne selbst Schaden zu nehmen. Erste Forschungen zum Thema Resilienz erfolgten in den 1950 er- Jahren. Über lange Zeit wurden Kinder beobachtet, die in ungünstigen Familien­verhält­nissen aufwuchsen und deren Zukunftsperspektive schlecht war. Es zeigte sich, dass es manchen, auch mit schlechten Startbedingungen, gelang als leistungsfähige Erwachsene im Leben anzukommen und zu bestehen. Was war bei diesen Menschen anderes? Welche Faktoren haben zu dieser positiven Entwicklung geführt?

Albert Bandura, ein einflussreicher kanadischer Psychologe, hat erforscht, wie Menschen mit schwierigen Situationen umgehen um sie erfolgreich bewältigen zu können. Bandura entwickelte das Konzept der Selbstwirksamkeits-Erwartung:

  • Positive Erfolgserlebnisse verstärken den Effekt für Künftiges
  • Stellvertretende Erfahrungen gerade die Selbsthilfe zeigt hier Beispiele
  • Verbale Ermutigung du kannst es schaffen
  • Emotionale Erregung runterfahren, Aufgaben ruhig angehen

Ich fasse zusammen: ein positives Selbstkonzept, gute Gefühle der Selbstwirksamkeit und Selbstregulierung helfen mir Heraus­forderungen im Leben anzugehen.

Diese vielen Infor­mationen brauchen Zeit zum Wirken. Ein gelungenes Seminar geht zu Ende. Zum Abschluss singen wir unser Seminarlied EPO I TAI TAI E. Gestärkt im Vertrauen zu uns selbst und unserer Kreativität können wir in Zukunft leichter im Regen tanzen.

Literatur

[1] Friederike Potreck-Rose, Gitta Jacob: Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen: Psycho­thera­peutische Interventionen zum Aufbau von Selbst­wert­gefühl. Klett-Cotta, 2013, ISBN 978-3-608-10382-3

[2] Anton Leitner: Handbuch der Integrativen Therapie. Springer, 2010. ISBN 978-3-211-99734-5

[3] Hilarion Petzold: Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden schulenübergreifender Psychotherapie. Junfermann, 2004, ISBN 978-3-87387-066-6

Weblinks

Education Group: Die 5 Säulen der Identität

Wikipedia: Hilarion Petzold

Wikipedia: Integrative Therapie

Wikipedia: Resilienz

Youtube: Eine EPO I TAI TAI E Interpretation

Kreuzbund DV Freiburg: Allgemeines Seminar II – Der innere Kritiker, Juli 2018

Kreuzbund DV Freiburg: Gruppenleiter Arbeits­tagung II – Resilienz – Was uns stark macht, April 2016