Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft

für Suchtkranke und Angehörige

Diözesanverband Freiburg e.V.

KreuzbundDiözesanverband Freiburg e.V.

Bericht: Angehörigen Seminar 2017

Zeit13.–15.10.2017
ThemaSuchtfamilie
ReferentinAntonia Mamier-Lampart, PSB Lahr
BerichtGaby Weiser, Heidelberg IV

Schon die Zeichnung auf der Einladung – eine Familie als Mobile dargestellt, gab schon eine Ahnung von dem, was auf uns zukommen sollte.

Die Teilnehmerrunde war mit 12 Personen überschaubar, es gab einige neue Gesichter, zumindest für mich. Vor allem fanden wir älteren Teilnehmerinnen interessant, dass wir ein „Küken“ von 22 Jahren unter uns hatten. Antonia Mamier-Lampart, PSB Lahr, war unsere Referentin, Bärbel Kempermann hatte die Seminarleitung.

Das Ankommen in der Runde finde ich bei den Kreuzbund-Seminaren interessant – immer gibt es etwas Neues.

Dieses Mal machten wir uns zuerst gegenseitig in Zweier­gruppen bekannt, danach stellten wir unsere Partnerin bzw. unseren Partner in der großen Runde den anderen Teil­nehmenden vor.

Wir entwarfen für uns eine Visitenkarte, was mir zumindest sehr schwer fiel. Es war sehr interessant, was den Einzelnen so einfiel, welche Kreativität manche zeigten und wie wir uns dann noch einmal auf eine andere Art vorstellen konnten.

Eine noch andere Art der Vorstellung war das Zusammenfinden einzelner Gruppen:

  • Gruppe der Kinder von Sucht­kranken
  • Gruppe der Partner
  • Gruppe der Sucht­kranken
  • Gruppe der Angehörigen

Hier waren die Überschneidungen interessant: Kinder waren auch Partner, Partner waren auch Suchtkranke, Suchtkranke konnten auch Angehörige sein etc. Antonia klärte uns auf, dass die Verteilung in unseren Gruppen in etwa den statistischen Zahlen entspricht. In dieser Runde kam dann auch die Frage nach dem Warum auf, warum gerade ich und nicht die Geschwister.

An diesem ersten Abend ließen wir das traditionelle Eis essen ausfallen und verschoben es auf den Samstag­abend.

Am Samstagmorgen begannen wir mit der Frage: Wie sehe ich mich mit / in meiner aktuellen Familie und der kreativen Aus­einander­setzung. Es wurde eifrig und mit viel Fantasie gemalt, aus Zeitschriften ausgeschnitten, geklebt und Collagen zusammengestellt. Bei der Kommentierung der Bilder erkannten wir:

  • ich darf trauern
  • ich darf scheitern
  • ich darf wütend sein
  • ich darf so sein wie ich bin
  • ich bin zwischen Davonlaufen und Hoffen auf bessere Zeiten

Antonia stellte die Entwicklung der Geschichte der Angehörigen als Problemgruppe vor.

Erst ab 1950 wurde die Gruppe die Angehörigen überhaupt erst als Problemgruppe erkannt.

Ab 1960 wurde dann die Co-Abhängig­keit als psychische und emotionale Abhängig­keit von Sucht­kranken, ohne aber grundlegend dazu zu forschen, festgelegt.

Ab 1984 wurde die Co-Abhängig­keit als Beziehung für abhängige Beziehungen überhaupt (Liebe-, Beziehungssucht, Sucht gebraucht zu werden) gesehen, dass es sich um Verhaltens­weisen und Haltungen handelt, die durch Tun oder Unterlassen zur Suchtstabilisierung beitragen.

Mit den Jahren kam Kritik an diesen Definitionen kam auf, die Menschen im Umfeld des Sucht­kranken wurden zu einseitig gesehen, die Schuld an der Entwicklung der Krankheit wurde ihnen zugeschoben, die Angehörigen wurden praktisch stigmatisiert.

Heute sieht man, dass das Konzept der Co-Abhängig­keit so nicht haltbar ist. Die Anliegen der Angehörigen werden letztendlich vernachlässigt. Die Co-Abhängig­keit wird heute als Erklärungsmodell für Verhalten und Erleben der Mitbetroffenen, die wechselseitige Bedingtheit im Verhalten von sucht­kranken Menschen und deren Angehörigen gesehen.

So sind Hinweise auf Beziehungszusammenhänge als Hilfe zu sehen:

den Beteiligten die Möglichkeit geben, ihren Anteil an der Entwicklung zu haben. Sie leben unter enormem Stress, sind von Grund auf nicht krank, sondern leiden eben an den Folgen, durch den Stress (Duldungsstress, Katastrophenstress) – es kommt zu Depressionen.

Als alte, bekannte Überlebensregeln nannte die Gruppe: Allwissenheit, Überblick haben, offenes Ohr für alle, man darf nie weg sein, alles im Griff haben, Wünsche erahnen, nicht ausflippen, eigene Bedürfnisse zurückstellen, und vieles, vieles mehr.

Dagegen stellten wir für uns neue Regeln auf, die wir in den Alltag integrieren wollen:

  • wir wollen unsere Meinung sagen,
  • wir wollen Nein sagen können, die anderen auch mal warten lassen,
  • ich will nicht immer alles im Griff haben
  • ich mache, wozu ich Lust habe, ohne schlechtes Gewissen, wen es mir gut geht.
  • ich darf auch mal traurig sein,
  • ich möchte um meiner selbst geliebt werden.

Im Alltag, besonders in Stresssituationen laufen normalerweise die Überlebensregeln ab, ohne hinterfragt zu werden.

Um uns in diesen Situationen besser auf unsere neuen eigenen Regeln zu besinnen, empfahl uns Antonia:

  • Rituale, wie das aus den Gruppen bekannte „Blitzlicht“,
  • besser mit der Zeit umzugehen, die „Spitzen“ der Überforderung kappen, eher ausgleichen
  • auf soziale Kontakte achten
  • auf ausreichend Schlaf achten, sonst kommt die Entspannung zu kurz

In einer Übung überlegten wir uns, wie unsere Tage ausgefüllt sind: Antonia nannte es den Energiekuchen: wieviel Zeit benötigen wir für unsere Arbeit, für unsere Hobbies, für die Familie, die häuslichen Pflichten, das Ehrenamt.

Wir müssen darauf achten, dass die einzelnen Felder gut verteilt sind, damit dem Stress vorgebeugt werden kann, wir mit uns zufrieden sein können. Unser Energiekuchen kann sich ändern, wir können uns neu orientieren, denn das Leben ist nicht statisch und nicht für alle Zeit festgelegt.

Im Garten zeigte Antonia uns mit ein paar Stöcken, welche Räume wir haben: den Mein-Raum, den Dein-Raum und den Unser-Raum. Auch hier sollen wir so gestalten, wie es uns guttut:

Der Mein-Raum ist nötig, um Abstand zu gewinnen, hier lebe ich meine ganz eigenen Interessen, darf ich für mich sein.

Aber genauso müssen wir den Dein-Raum des anderen akzeptieren, und brauchen wir den Unser-Raum: hier begegnen wir uns, teilen wir unsere Aufgaben, leben wir unsere Gemeinsamkeiten, streiten und versöhnen wir uns.

Wir waren uns einig, dass Balance finden für uns alle wichtig ist:

  • ich darf für mich sorgen
  • ich darf mich abgrenzen
  • ich muss nicht perfekt sein
  • ich darf Fehler machen
  • ich darf ausprobieren
  • ich darf Gefühle zeigen
  • ich darf so sein wie ich bin
  • es darf mir gut gehen

Das Seminar ist viel zu schnell zu Ende gegangen. Die Atmosphäre im Gästehaus der Dominikanerinnen bei dem schönen Herbstwetter hat uns gutgetan, wir haben auch trotz der ernsten Themen viel gelacht und freuen uns auf das Angehörigen Seminar in 2018.