Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft

für Suchtkranke und Angehörige

Diözesanverband Freiburg e.V.

KreuzbundDiözesanverband Freiburg e.V.

Bericht: Männerseminar 2017

Zeit15.–17.9.2017
OrtSchön­statt­zentrum Oberkirch
ThemaSchluss mit meiner Wenigkeit – Selbstvertrauen erlangen und selbstsicher handeln
ReferentOtmar Wegerich, ehem. PSB Ludwigshafen
BerichtRoland Wagner
BilderDetlef Thoma

Liebe Weg­gefähr­tin, lieber Weg­gefährte,

denke ich zurück an meinen letzten Rückfall im August 2016, dann ist das keine gute Erinnerung. Ich fühlte mich minderwertig, traute mir nichts mehr zu, war unsicher und antriebslos. In den vergangenen Monaten habe ich eine für mich unglaubliche Wandlung vollzogen und kann sagen, heute geht es mir gut und ich bin zufrieden.

Meine wichtigsten Erfahrungen dokumentiere ich in der Absicht, den Menschen eine Hilfe zu sein, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Auch kann der Artikel als Diskussions­vorlage für Gruppen­abende herangezogen werden.

Die Weitergabe des Artikels, auch in Teilen, ist ausdrücklich erlaubt.

Über ein Feedback, an die E-Mail-Adresse roland.wagner@kreuzbund-dv-freiburg.de freue ich mich.

Leitsatz

Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das Eine vom Anderen zu unterscheiden. Den Ausspruch des amerikanischen Theologen, Philosophen und Politologen Reinhold Niebuhr (1892 - 1971) habe ich im Jahr 2008 erstmals gelesen. Lange Zeit war er wohl in meinem Unter­bewusstsein verschollen. In den letzten Monaten erinnerte ich mich immer wieder an ihn. Aus ihm schöpfe ich Kraft und Zuversicht.

Hilfe suchen und annehmen

Du besuchst doch seit Jahren die Kreuz­bund­gruppe, hat die dir nicht geholfen? Das mag der Eine oder Andere fragen. Nicht so richtig, ich habe ihr oftmals keine Chance gegeben. Ich schämte mich, offen, ehrlich und vollständig über meine Probleme zu reden.

In den letzten Monaten habe ich begriffen, dass es nicht verwerflich oder peinlich ist, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Heute lasse ich die Gruppe an meinem Leben teilhaben, an meiner Freude aber auch an meinem Leid. Dabei sind Offenheit und Ehrlichkeit für mich selbst­verständ­lich geworden.

Yes I can

Aus einem verzagten Arsch fährt kein fröhlicher Furz! sagte Martin Luther. Was hat das mit mir zu tun? Nun ja, wie soll mir etwas gelingen, wie soll es mir gut gehen wenn ich ängstlich, deprimiert, mutlos, nieder­geschlagen, unsicher und resigniert bin? Schmunzelnd sage ich heute: „Ich bin immer noch ein Arsch, aber nicht mehr verzagt!“.

Selbst­wert­gefühl

Mir gelang es, mich wieder selbst wert zu schätzen. Heute sehe ich mich nicht mehr als den kleinen (160 cm) Versager, sondern als einzigartigen, wertvollen Menschen an.

Ich akzeptiere mich heute mit all meinen Stärken und Schwächen, mit meiner Statur und meinem Aussehen. Als Vorarbeit zu dieser Akzeptanz erstellte ich eine Liste mit meinen Stärken, Schwächen und körperlichen Merkmalen. Danach ging ich die Liste Punkt für Punkt durch und hakte die Punkte, die ich sofort annehmen konnte, ab. Mit den wenigen restlichen Punkten beschäftigte ich mich solange, bis ich sie auch annehmen konnte. Als Beispiel meine Körpergröße. Jahr­zehnte­lang haderte ich damit. Jetzt nehme ich sie bewusst als gegeben und nicht änderbar an und es geht mir gut dabei.

In jedem von uns gibt es eine innere Stimme, die der Psycho­thera­peut Dr. Rolf Merkle auf einer Internetseite als inneren Kritiker bezeichnet. Dieser Kritiker ist nur darauf aus, uns klein zu machen, sprich unser Selbst­wert­gefühl zu mindern. Diesem Kritiker widerspreche ich immer häufiger. Wie ich das mache zeigt folgende Episode.

Ich helfe ehren­amtlich im Tom-Tatze-Tierheim in Walldorf. Für Veran­staltungen werden Zelte aufgebaut. Wenn ein Zeltgerüst mit der Deckenplane steht, müssen die Seitenwände an der Deckenplane befestigt werden. Aufgrund meiner Körpergröße (160 cm) scheitere ich an dieser Aufgabe. Sofort meldet sich mein Kritiker: Du bist zu klein und somit zu nichts zu gebrauchen. Ich antwortete ihm: Es gibt genug bodennahe Tätigkeiten und dafür bin ich hervorragend geeignet!

Früher habe ich mich oft mit anderen verglichen. Solche Vergleiche brachten meist immer ein für mich negatives Ergebnis: X ist größer als ich, also bin ich weniger wert. Ergo, ich vergleiche mich nicht mehr.

Selbstvertrauen

Das kann ich nicht, das traue ich mir nicht zu war einer meiner Lieblingssätze. Wegen meiner Versagensängste gab ich nach über 30 Jahren mein Hobby auf. Mehr Selbst­vertrauen erlangte ich, indem ich

  • mich der Versagensangst stellte,
  • mich an meine Fähigkeiten und Stärken erinnerte,
  • auch einmal etwas Neues wagte und
  • mich von einem Misserfolg nicht aus der Bahn bringen ließ.

Selbstvertrauen kann man lernen und trainieren, man muss nur damit anfangen.

Selbstsicherheit

Ich erinnerte mich an Übungen, die die Selbstsicherheit stärken und trainierte wieder. Zu den Übungen zählten

  • Verantwortung übernehmen und selbst entscheiden was ich tun will und was nicht,
  • Nein sagen, wenn ich etwas nicht möchte,
  • Kontakt zu fremden Menschen aufnehmen,
  • mich kleiden wie ich will,
  • etwas machen, obwohl ich mich nicht traue,
  • aufrecht gehen,
  • mich bei Veran­staltungen in die 1. Reihe setzen,
  • Orte besuchen, die ich lange Zeit gemieden habe und
  • neues ausprobieren.

Tipp: Du kannst dir selbst Übungen zur Stärkung deiner Selbstsicherheit ausdenken. Überlege dir z. B. eine für dich unangenehme Situation und begebe dich bewusst in sie hinein. Ein Beispiel: Immer, wenn du einen Hut trägst, hast du das unangenehme Gefühl, dass dich alle Leute anstarren. Setze einen Hut auf und gehe spazieren. Achte bewusst auf die Reaktion anderer Leute. Starrt dich wirklich jemand an?

Vom Stubenhocker zum Aktivisten

Im ersten Schritt erstellte ich meine Spaßliste, in der ich alle Aktivitäten notierte, die mir früher einmal Spaß machten. Diese ergänzte ich um Aktivitäten, von denen ich dachte, dass sie mir Spaß machen könnten. Am Ende fand ich Dinge wie

  • Spazieren gehen
  • Schwimmen
  • Tischtennis
  • Fotografieren
  • Bildbearbeitung

Im zweiten Schritt habe ich mir aus der Liste zwei (nicht zu viele auf einmal) Tätigkeiten ausgesucht die ich ausführen wollte.

Danach erstellte ich für die nächsten 2 – 3 Wochen einen Plan unter Berück­sichtigung der Punkte aus der Spaßliste.

Und dann hieß es machen!

Tipps: Wähle für den Anfang eine Aktivität aus, für die du dich nicht erst groß vorbereiten musst, z. B. Spazieren gehen.

Idealerweise findest du eine Aktivität, die nur in einer Gruppe Sinn machen, z. B. Tischtennis, Kegeln. Das bringt dich zu neuen Kontakten und führt dich aus der sozialen Isolation.

Dein Plan wird nur funktionieren, wenn er für dich verbindlich ist!

Lass dich nicht entmutigen, wenn mal etwas nicht funktioniert.

Ehren­amtliche Tätigkeit

Ich mochte schon immer Hunde. Was lag näher, als Spazieren gehen mit Hund zu kombinieren. So wurde ich 3-mal die Woche ehren­amtlicher Gassigeher im Tom-Tatze-Tierheim in Walldorf.

Vielleicht kommt für dich auch eine ehren­amtliche Tätigkeit in Frage.

Tipp: Es muss nicht unbedingt ein Tierheim sein. Es gibt etliche Organisationen, die ehren­amtliche Mitarbeiter beschäftigen: Altenheime, Krankenhäuser, etc.

Nun bin ich am Ende meiner Ausführungen. Ich wünsche euch eine gute Zeit.

Euer Dragon