Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft

für Suchtkranke und Angehörige

Diözesanverband Freiburg e.V.

KreuzbundDiözesanverband Freiburg e.V.

 

Seminar "Ich bin doch eigentlich ganz anders"

 

Vom 18. – 20. September 2009 fand im ruhigen und besinnlichen Rahmen des Klosters Neusatz, am Rande des Hochschwarzwalds unter dem Motto “Ich bin doch eigentlich ganz anders“ ein Wochenend­seminar des Kreuzbunds zum Thema Rollen und Rollenspiele statt. Die Schirmherrschaft hatte der allseits geschätzte DV-Vorstand Helmut Wienecke, Referentin war Frau Margrit Baumgartner, die lange Jahre als Therapeutin in der Fachklinik Renchen tätig war.

Eine erste soziologische Bestimmung des Begriffs Rolle nahm Ferdinand Tönnies 1887 vor, indem er den Menschen als soziale „Person“ und Träger von sozial differenzierten Rollen beschrieb, der die “Gesellschaft“ mit anderen zu eigenem Vorteil willentlich sucht.
In der Soziologie wird unterschieden zwischen: kulturellen Rollen, sozialen Rollendifferenzierungen, situationsbezogenen Rollen und biosoziologisch begründeten Rollen,
Soziale Akteure befinden sich ihr Leben lang in unter­schied­lichen sozialen Rollen; mitunter agieren sie in mehreren Rollen gleichzeitig. Die Rolle klassifiziert die Stellung des Rolleninhabers in einem sozialen Gefüge mit bestimmten Rollenerwartungen, die sich von den Bezugsgruppen (Peergroups) ableiten.

Am Freitag Abend trafen wir uns nach dem gemeinsam eingenommenen Abendessen  im Gruppenraum, um miteinander bekannt zu werden. Leider hatten Einzelne Schwierig­keiten bei der Anreise, was dazu führte, dass nicht alle an der Kennen­lernrunde teilnehmen konnten. Wie sich im Verlauf des Seminars zeigte, war dies jedoch kein Hinderungsgrund für die Kommuni­kation innerhalb der Gruppe, die sich aus insgesamt 18 Personen zusammensetzte.

 Margrit Baumgartner, die den inhaltlichen Rahmen des Seminars vorgab, brachte die Gruppenteilnehmer/ -innen einander näher, z. B. durch mental-koordinative Übungen. Bei diesen kommt es darauf an sich die Namen, aber auch andere Eigenschaften der Anwesenden dadurch besonders gut einzuprägen, dass nicht nur der Verstand, sondern auch der Körper mit einbezogen werden, was die Konzentrationsfähigkeit, aber auch die Merkfähigkeit der Lernenden enorm erhöht.
So erfuhren wir etwas über Namen, Wohnort, Alter oder auch die Abstinenzdauer jedes Einzelnen.

Den Samstag begannen wir nach dem Frühstück mit einer Übung zum Thema Rollen. Unsere Aufgabe war es, umher zu gehen, sich dabei verschiedene Gefühlszustände oder unter­schied­liche Lebensalter vorzustellen und diese durch die Art des Umhergehens zum Ausdruck zu bringen.

Danach näherten wir uns dem Thema "Rollen“ mit dem Ansatz des "Psycho­dramas".
Das Psychodrama ist eine Methode der Gruppenpsychotherapie. Es entstand als Therapie aus dem Stegreiftheater. Der Klient (Protagonist) gestaltet als Hauptdarsteller des psycho­dramatischen Spiels sein therapeutisches Thema.
Ziel des Psycho­dramas ist die Aktivierung und Integration von Spontaneität und Kreativität. Konstruktives spontanes Handeln ist zustande gekommen, wenn der Protagonist für eine Situation eine neue und angemessene Reaktion findet. Mit Hilfe der Gruppe soll sich der Protagonist von festgefahrenen Rollenstrukturen oder Rollenkonserven befreien.
Man lernt soziale Rollen, welche den Individuen und indi­viduellen Situationen nicht gerecht werden können. Je weniger die natürliche Kreativität zum Einsatz kommen kann, umso mehr ist der Einzelne an festgefahrene Rollenbilder verhaftet.

Wir wurden aufgefordert, unsere eigene Persönlichkeit aus der Sicht einer anderen Person zu schildern. Hierzu sollten wir ein Idol, möglicherweise eine Person aus dem öffentlichen Leben, z. B. Barrack Obama, oder eine andere für uns wichtige Person, z. B. ein Verwandter, aussuchen und aus dessen Sicht etwas über uns selbst berichten. Es war gar nicht so einfach diese Aufgabe umzusetzen, jedenfalls nicht für alle Anwesenden.

An dieser Stelle ist positiv zu erwähnen, dass dieses Mal die Seminar­teil­nehmer sehr gleichmäßig nach Seminarerfahrung gegliedert waren. Das brachte für den Verlauf des Wochenendes teils ungewohnte, teils aber auch sehr erfrischende Momente für alle Beteiligten.

Der Nachmittag war dem Begriff “Inneres Team“ vorbehalten, einem psychologischen Modell des Kommuni­kationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun (*1944), der sich mit dem Thema der funktionierenden Kommuni­kation beschäftigt. Dabei fand er heraus, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen klarer Kommuni­kation die Selbstklärung ist..
Der 3. Band seiner Buchreihe Miteinander reden (erschienen Ende 1998) beschreibt unter anderem, dass man oft „mehrere Seelen in der Brust“ hat. Sie melden sich bevor, während und nachdem wir sprechen. Schulz von Thun nennt dies Inneres Team. Indem er das Modell des inneren Teams vorstellt, möchte er eine Anleitung zur Selbsthilfe liefern. Dieses Modell gründet auf dem theoretischen Ansatz des "Psycho­dramas" (s. oben).

Ausdrücklich stellt das innere Teammitglied keine von Neurologen bestätigte Realität dar, es handelt sich um eine Metapher, die sich in der Selbstklärung als nützlich erwiesen hat. Es ist nicht mit Gefühlen oder Verhaltens­weisen zu verwechseln.
Teammitglieder unterscheiden sich auf vielfältige Weise – sie sind laut oder leise, melden sich schnell oder langsam, sind dominant im Außenkontakt oder zeigen sich nur nach innen, wo sie als Gedanke, Gefühl, Impuls, Stimmung oder Körpersignal auftreten. Zwischen Teammitgliedern herrscht eine ähnliche Gruppendynamik wie im wirklichen Leben auch. In ihrer Gesamtheit spiegeln sie die Lebenserfahrungen eines Menschen wider.
Als Teamleiter bezeichnet Schulz von Thun das übergeordnete „Ich“, die zusammenhaltende Instanz, die entweder dem Dialog seiner Teammitglieder passiv folgt oder aber aktiv eingreift.
Steht ein Mensch vor einer schwierigen Entscheidung, führt er mehr oder weniger bewusst eine innere Teamsitzung durch.

Es war durchaus schlüssig, sich mit den inneren Akteuren, die in ihrem Zusammenspiel unser Verhalten bestimmen, zu widmen. Es ist wichtig, jedes Innere Teammitglied zu würdigen, denn „innere Pluralität“ ist menschlich und wertvoll. Doch je nach Ablauf der inneren Diskussionen, je nachdem, wie sich das „innere Betriebsklima“ gestaltet und ob eine gute Gesprächsleitung vorhanden ist, können wir über ein „Inneres Team“ verfügen – oder aber unter einem ewig zerstrittenen Haufen leiden, mit nachteiligen Folgen auch für die Kommuni­kation nach außen.

Veranschaulicht wurde dieses Zusammenspiel am Beispiel eines Teilnehmers und der konkreten Frage­stellung nach dem Erledigen von Aufgaben, sofort, morgen, oder übermorgen. Dieser Teilnehmer sollte sich eine Entscheidungssituation vorstellen und dazu verschiedene seiner Rollen benennen. In der Folge konnten wir feststellen, welche Akteure die Ent­scheidungs­findung wie stark beeinflussten. Hierbei ließ sich sehr anschaulich zeigen, dass zum einen mehrere Akteure existieren, mit teilweise ganz gegensätzlichen Intentionen und Interessen, zum andern aber auch zwischen diesen verschiedenen Akteuren so etwas wie Koalitionen entstehen können.

In der Literatur findet sich hierzu in Hermann Hesses Roman Der Steppenwolf eine passende Allegorie:
...“Wünschen Sie Unterricht über den Aufbau der Persönlichkeit?“
“Ja, bitte.“
“Dann stellen Sie mir freundlichst ein paar Dutzend ihrer Figuren zur Verfügung.“
“Meiner Figuren?“
“Die Figuren, in die Sie ihre sogenannte Persönlichkeit haben zerfallen sehen.“...
...“Wie der Dichter aus einer Handvoll Figuren ein Drama schafft, so bauen wir aus den Figuren unseres zerlegten Ichs immerzu neue Gruppen, mit neuen Spielen und Spannungen, mit ewig neuen Situationen.“ ...

Das Zusammenwirken dieser inneren Akteure verändert sich allerdings bei uns sucht­kranken Menschen in ganz außergewöhnlichem Maße, weil das jeweilige Suchtmittel auf das Zusammenwirken des inneren Teams Einfluss nimmt und sich dadurch unsere Verhaltens­weisen und Entscheidungen verändern.

Am Sonntagvormittag beschäftigten wir uns dann mit der Nachbetrachtung des Seminars. In Kleingruppen von vier Personen sollten wir  unsere Eindrücke sammeln und visualisieren. Hierzu wählten die Gruppen unter­schied­liche Formen der Darstellung. Die erste Gruppe kreierte ein Brettspiel namens Rollopoly, die zweite drückte das Erlebte durch ein Bild aus und die dritte führte ein kurzes Theaterstück auf. Last not least die vierte Gruppe, welche ein Diagramm mit Lebenslinien zeichnete.
Danach erhielt die Referentin, Frau Baumgartner; ein feedback durch die Teilnehmer, welches positiv ausfiel. Durch ihr souveränes Auftreten und ihre Kompetenz trug sie wesentlich zum Gelingen des Seminars bei.
Nach dem abschließenden Mittagessen nahmen wir das Gefühl eines gelungenen Wochenendes mit nach Hause, wozu auch das sonnige Wetter beigetragen hatte.

Bernd Bruno Klöpfer

Jörg Weingärtner